Fossile Blattflechten           

Flechten sind enge Lebensgemeinschaften zwischen Alge und Pilz. In der paläobotanischen Literatur finden sich nur wenige Berichte über fossile Flechten, und die dort beschriebenen erfüllen kaum die Kriterien moderner Flechtendefinition. So wird z.B. die Flechtennatur der bei Taylor et al. (1995) aus dem Devon beschriebenen „oldest fossil lichen“ lediglich durch Algen-Hyphen-Kontakte belegt. Das reicht nicht für den Nachweis einer Lichenisierung, denn es kann sich hierbei auch um ein parasitisches Verhältnis handeln, wobei der Pilz lebende Algenzellen angreift und ihnen Nährstoffe entzieht, ohne mit ihnen eine gemeinsame Physiologie zu entwickeln.

Flechten sind eindrucksvolle Beispiele für das, was man eine Symbiose nennt, eine enge Lebensgemeinschaft zwischen Organismen unterschiedlicher Art, von der beide Symbionten profitieren. Was eine Flechte ist, wird trotz ihrer charakteristischen Wuchsformen nicht nur über den Vegetationskörper definiert, sondern durch Merkmale der Lebensgemeinschaft. Dabei genügt nicht, dass beide Partner anatomisch-histologisch verbunden sind, denn es gibt auch parasitäre Beziehungen zwischen Alge und Pilz, aus denen nur einer Vorteile zieht. Eine Flechte im engeren Sinn liegt vor, wenn die Symbionten aufeinander angewiesen sind, daher gemeinsame Körpermerkmale und Leistungen hervorbringen, zu denen sie einzeln nicht in der Lage wären. Hierzu gehören z.B. Einrichtungen zur gegenseitigen Versorgung, gemeinsame Fortpflanzungsorgane und Stoffe, die sie nur in Gemeinschaft erzeugen. Henssen & Jahns (1974) rechnen zu den Flechten „alle Pilze, die obligat für die Ernährung an bestimmte Algen gebunden sind und mit diesen eine morphologisch-physiologische Einheit bilden“. Diese Definition der Flechte orientiert sich primär an Merkmalen, die man nur an lebendem Material nachweisen kann. Für Fossilien sind sie weniger geeignet. Das gilt auch für die sechs Kriterien der „Symbiose“ nach Scott (1971), die nach Henssen & Jahns (1974) von den Flechten erfüllt werden. Auf fossile Objekte anwendbar sind naturgemäß nur solche Merkmale, die optisch erkennbar und für Flechten aus heutiger Sicht spezifisch sind. Das können morphologische, anatomische, histologische und cytologische Strukturen sein, die denen  rezenter Flechten entsprechen.

Hier eine Auflistung von Merkmalen, die einzeln oder in Kombination bei den fossilen Keuperpilzen gefunden werden und deren Lichenisierung nach lichenologischen Kriterien belegen:


Morphologie, Anatomie und Histologie

Die rezenten Blattflechten verdanken ihren Namen der Konvergenz ihrer Morphologie mit den Blättern der Höheren Pflanzen. Dem entsprechend sind die fossilen Flechtenlager mit dem unbewaffneten Auge morphologisch kaum von den fossilen Blattresten (Kutikeln) zu unterscheiden. Sie haben meist die Form kleiner Blattfieder (Fig. 3). Es werden aber auch Lager gefunden, die heutigen Blattflechten recht ähnlich sind (Fig. 1, 5). In Konvergenz zu den fotosynthetisch aktiven Laubblättern der Höheren Pflanzen haben die rezenten Blattflechten eine Blattanatomie mit funktional unterschiedlichen Geweben, wie Cortex (Abschlussgewebe), Algenschicht (Assimilationsgewebe) und Medulla (Durchlüftungsgewebe). Zum Vergleich sind in Fig. 4 der Querschnitt einer rezenten Blattflechte (Parmelia caperata) und einer fossilen Flechte (Fig. 6) untereinander abgebildet. Das Fossil zeigt die für Blattflechten typische Anatomie.

 

         

                                 . 1                                                                                            2                                            

      

                               .3                                                      4    Lagerquerschnitt der rezenten Flechte Parmelia caperata     

                    

             5     fossile Flechte                                                                6         Lagerquerschnitt einer fossilen Flechte             

                                                                                                                                                                                                               

  Proso- und Paraplectenchym

Ein für die Flechtenanatomie aussagekräftiges histologisches Detail ist der Übergang vom lockeren Plectenchym der Algenschicht zum geschlossenen Paraplectenchym des Cortex. Die REM-Aufnahme (Fig. 7) zeigt die Lage der beiden Gewebe am Querschnitt einer fossilen Flechte. Man kann deutlich die locker geflochtenen Hyphen der Algenschicht von der geschlossenen Zellschicht des Cortex unterscheiden. Der Cortex besteht aus dicht miteinander verwachsenen abgerundeten Hyphen, die aus den länglichen Hyphen der Algenschicht hervorgehen, d.h. aus longitudinalen Hyphen gehen durch Hemmung des Längenwachstums isodiametrische Zellen hervor. Dieser Übergang ist fossil belegbar. Fig. 8  zeigt diesen Übergang (Pfeile) vom länglichen zum runden Hyphenwachstum mit einer lichtmikroskopischen Aufnahme

 

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                    7                                                                                               8

 Algen-Pilzkontakte

Die Algenzellen sind nicht als Körper, sondern nur als kohlige Abdrücke an der Unterseite des Cortex erhalten ( Fig. 1-3). Die Algen sind wie bei rezenten Arten in Clustern angeordnet (Fig. 3). Der Fotobiont pflanzt sich in der Flechte nur vegetativ durch Teilung fort. Auch Spuren solcher Teilungsstadien sind in den Fossilien erhalten (Fig. 1 und 2 ). Dort, wo die Algenschicht an das kompakte Paraplectenchym des Cortex grenzt, kommt es zu einem sehr engen Kontakt zwischen Hyphen und Algen, der sich als halbkugeliger Abdruck der Algenzelle im Cortex erhalten hat. Zum Vergleich wird dieses Merkmal sowohl am Querschnitt einer rezenten als auch einer fossilen Flechte gezeigt. Die Algen einer rezenten Flechte werden gegen die Unterseite des Cortex-Paraplectenchyms gepresst, so dass der Zellkörper im Plectenchym einen halbkugelförmigen Abdruck erzeugt (Fig. 4). Die fossilen Algenbilder der Fig. 1-3 sind kohlige Abdrücke von Algen an der Cortexunterseite. Fig. 5 zeigt solche Abdrücke im REM.

                  

                        1                                                           2                                                   3

         

                             4                                                                              5

 Cortex-Poren

Die Fig. 6 und 7 zeigen Poren im Cortex der rezenten Flechte Peltigera aphthosa für den Gaswechsel des Fotobionten. Es lassen sich zwei Poren-Typen beschreiben, glatte und geschürzte. Beide Poren-Typen wurden auch bei fossilen Flechten gefunden (Fig. 8 und 9).

 

          

                 6                                                                                                      7

  

                      8                                                                                             9

 

Soredien und Isidien

Ein sehr aussagekräftiges Merkmal für eine Lichenisierung sind Soredien und Isidien, das sind gemeinsame vegetative Fortpflanzungseinheiten der Symbiosepartner.  Soredien sind kleine Hyphenknäuel, die Algen umklammern. Sie werden einfach an der Cortexoberfläche gebildet oder in speziellen Organen, den Soralen, die in unterschiedlichen Formen auftreten. Isidien sind kleine Auswüchse des Cortex, die Algen enthalten. Sie brechen leicht ab und dienen der gemeinsamen räumlichen Verbreitung der Symbiosepartner.

       

     Fossiles Soral mit Soredien                                  Ein Soredium   im REM                                    

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Sorediöse Oberfläche einer fossilen Flechte im Auflicht (links)  und im REM (rechts)                                                                                                             

     

gequetschte fossile Soredie      Lager mit Isidien                  Isidie im REM

Sexuelle Fortpflanzung

Da sich bei den rezenten Flechten nur der Mykobiont sexuell fortpflanzt, sind aus heutiger Sicht die fossil erhaltenen sexuellen Fortpflanzungsorgane kein Beleg für die Symbiose. Wenn die fossilen Sexualstrukturen hier dennoch aufgezeigt werden, so deshalb, weil damit zum einen die Pilznatur dieser Organismen belegt wird, zum anderen eine mögliche Verwandtschaft zu den heutigen Ascomyceten deutlich werden soll. Zum anderen ergibt sich die Flechten-Zugehörigkeit der Sexualorgane aus ihrer Kombination mit lichenisierten Lagern.

Fruktifikationen sind im fossilen Flechtenmaterial relativ selten. Meist sind die Lager steril. Unter ca. 500 Individuen wurden bisher nur drei Apothecien registriert (Fig. 1). Perithecien sind häufiger, wegen ihrer Einbettung im Lagerinneren aber oft schwerer erkennbar. (Das Objekt in Fig. 6,  enthält ein Perithecium mit einigen Asci.)

Die Fig. 2-4 zeigen Perithecien unterschiedlicher Form und Reife. Die Schwärzung des Involucrellums hat sich fossil erhalten. Die Perithecien in Fig. 4 zeigen eine Öffnung (Ostiolum). Aus dem Perithecium in Fig. 5 quillt eine Sporenmasse.

   

                    1                                               2                                                                    3

                         

                                   4                                                                              5

Aus einem fossilen Flechtenlager mit Perithecien konnten durch Herstellung von Quetschpräparaten in Immersionsöl Hymeniumteile isoliert werden. Fig. 6 zeigt einen freipräparierten Hymeniumausschnitt mit ascogenen Hyphen und einem unreifen Ascus, daneben Paraphysen (sterile Hyphen des Hymeniums). Fig. 7 ist ein Querschnitt (Ausschnitt) eines Hymeniums mit Asci unterschiedlicher Reife. In beiden Sporangien sind Sporen erkennbar. Im linken Ascus sind es acht. Asci mit acht Sporen sind bei den rezenten Ascomyceten verbreitet. Die Fig. 8-12 zeigen Sporen bzw. Sporangien (Fig. 9 und 10) verschiedener fossiler Spezies.

                        

                    6                                                                          7                                                                   8  

 

9                                             10                                          11                                    12

 

Fossile Flechtenstoffe

Gemessen an geografischer Verbreitung und ökologischem Können gehören Flechten zu den erfolgreichsten Organismen unseres Planeten, nicht zuletzt auch wegen ihrer biochemischen Fähigkeiten. Mehr als 800 verschiedene Stoffe, darunter viele, die ausschließlich in Flechten gebildet werden, konnte man bisher isolieren. Als Pioniere der Vegetation arbeiten sich Flechten mit Säuren in das nackte Gestein und wehren sich mit speziellen Verbindungen gegen Bakterien, Insekten oder Schnecken. Flechtenstoffe werden bei rezenten Flechten in den Hyphen gebildet. Bei hoher Konzentration kristallisieren sie aus und sind dann im Mikroskop als Kristalle an den Hyphen erkennbar (vgl. unten). Flechtenstoffe haben auch eine Bedeutung für den Taxonomen, denn viele entwickeln mit einfachen Chemikalien, wie z.B. Kalilauge, charakteristische Farbreaktionen, durch die man verschiedene Spezies voneinander unterscheiden kann. Viele der fossilen Flechten enthalten zahlreiche, teils auffallend geformte Kristalle. Die Vermutung, dass es sich hierbei um fossil erhaltene Flechtenstoffe handeln könnte, wird dadurch gestützt, dass sich diese fossilen Kristalle noch heute mit Kalilauge auffallend färben. Die Abb. links, untere Reihe, zeigt einen fossilen Kristall, der nach Form und nach Anfärbung durch Kalilauge der Stictinsäure heutiger Flechten entspricht. Aus einer fossilen Flechte mit solchen Kristallen konnte mit hochempfindlicher Chromatografie Stictinsäure isoliert werden.

 

          

  Hyphen mit auskristallisierten Flechtenstoffen, links fossil/ rechts rezent   

                            

               

Kristalle fossiler Flechtenstoffe, die mit Kalilauge eine Farbreaktion zeigen 

 ( links außen Stictinsäurekristall,  konnte  auch  chromatographisch nachgewiesen werden )    

                                                                                                                                                             

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